Debattenkultur

"Wir müssen wieder mehr Zuhören!" Das hört man derzeit allerorten. Und so abgedroschen das klingen mag, so wichtig ist es auch. Echtes Zuhören meint natürlich etwas mehr als einfach zumindest mal die Klappe halten, wenn ich das mal so salopp sagen darf. Echtes Zuhören heißt, sich auf den anderen einzulassen. Anteil zu nehmen an dem, was mir erzählt wird. Ertragen, dass es vielleicht etwas anderes ist als das, woran ich glaube. Zulassen, dass das Gehörte möglicherweise meine Meinung ändern könnte. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, bei mir ist es manchmal so, dass ich einen gewissen Widerstand bemerke, wenn mir jemand etwas erzählt, das nicht meinen Überzeugungen entspricht. Eigentlich komisch, oder? Normal, oder? Wie wäre es denn, wenn wir da mal anders drangehen würden. Neugierig, offen, ob das Gegenüber nicht etwas Spannendes zu erzählen hat, das man so noch gar nicht gedacht hat. Auf das man im Traum nicht gekommen wäre. Etwas, das einem neue Perspektiven, neue Gedanken, neue Welten eröffnet. Echtes einander Zuhören, um zu verstehen, was der andere/die andere denkt - und warum.

 

Was meines Erachtens dann genauso wichtig ist: Wir müssen wieder streiten lernen! Jetzt haben wir einander zugehört, verstanden, was der andere denkt und warum. Und jetzt? Wir sind absolut nicht einer Meinung. So gar nicht. Echt nicht. Die Meinung des anderen geht gar nicht! Wirklich - wir haben uns echt bemüht, aber ich kann da nicht mitgehen. Punkt. Dafür gibt es eine Lösung, eine Methodik, ein - neudeutsch und sehr beliebt - Tool (für alle, die keine Berater, Manager oder Mechatroniker sind, das heißt ganz einfach Werkzeug, auf Englisch)! Also, es gibt da etwas, das hilft. Streiten. Miteinander streiten. Fair streiten. Faires Streiten meint natürlich etwas mehr als sich anzuschreien, sich die gegenseitige Überzeugung an den Kopf zu werfen und exakt wieder so aus dem Streit zu gehen, wie man hineingegangen ist. Nur mit höherem Blutdruck, ungesunder Gesichtsfarbe und dem dringenden Bedürfnis, den Kopf gegen die Wand zu schlagen. Faires Streiten heißt, sich auf den anderen einzulassen. Anteil zu nehmen an dem, was mir erzählt wird. Ertragen, dass es vielleicht etwas anderes ist als das, woran ich glaube. Zulassen, dass das Gehörte möglicherweise meine Meinung ändern könnte. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, bei mir ist es manchmal so, dass ich den Reflex verspüre, jemanden von meiner Meinung zu überzeugen, wenn mir jemand etwas erzählt, das nicht meinen Überzeugungen entspricht. Eigentlich komisch, oder? Normal, oder?Wie wäre es denn, wenn wir da mal anders drangehen würden. Neugierig, offen, ob es das Gegenüber nicht vielleicht schafft, mich zu überzeugen, ob es nicht doch Argumente für die andere Meinung gibt, die vernünftig sind. Ob es nicht doch irgendetwas gibt, das wir teilen, auf das wir uns einigen können und von dem aus wir dann die anderen Perspektiven, Gedanken, Welten verstehen können. Streiten, nicht, um ein und derselben Meinung zu sein oder jemanden zu überzeugen. Fair miteinander streiten, um bereit zu sein, seine Meinung auch mal zu ändern.

 

Warum sage ich das alles? Ich sage das, weil ich sehe, dass die Menschen immer weniger miteinander reden und schon gar nicht mit anderen Menschen, die nicht ihrer Meinung sind. Das ist aber wichtig, sonst verlieren wir uns. Und wir verlieren die Fähigkeit, anders zu denken, anderes zu denken als das, was uns angeboten wird. Und das macht das Leben doch eigentlich erst spannend. Oder wollen Sie, das Ihr Mann, Ihre Frau, Ihre Kinder, Ihre Freunde immer exakt Ihrer Meinung sind? Ja ja, ich weiß schon, Sie sagen jetzt: "Super wäre das! Alle Probleme wären gelöst!" Ich sage Ihnen: Nach einiger Zeit würden Sie höchstwahrscheinlich wahnsinnig werden und sich jemand anderen suchen, mit dem Sie streiten können. Wir sollten wieder lernen, möglichst vielfältige Quellen zu lesen, zu sehen, zu hören - und uns dann als selbstbestimmte Wesen eine eigene Meinung bilden. Derzeit geben sich viele Menschen damit zufrieden, gefüttert zu werden - mit fertigen Meinungen. Das ist natürlich einfach, dann muss man selbst nicht mehr nachdenken.  Wir sollten uns selbst wieder mehr darum bemühen, verschiedene Informationen und verschiedenen Darstellungen zu sehen. Nicht nur die, die unsere eigenen Vorstellungen bestätigen und/oder einem "die Wahrheit" versprechen. Sowas gibt es nicht. Jemandem gegenüber, der einem "die Wahrheit" verspricht, der ganz genau weiß, das alle anderen "falsch" liegen - der Staat, die Medien, die Wissenschaft - diesem gegenüber sollten wir alle sehr sehr sehr skeptisch sein. Es gibt selten ein Falsch und ein Richtig. Allerdings fällt mir ein Beispiel ein, das allerdings nur trägt, wenn wir uns darauf einigen können, dass die Menschenwürde unantastbar ist: Gewalt und Gewaltandrohung. Man kann viele Meinungen haben und viele Meinungen vertreten, von links bis rechts, von apricot bis mintgrün. Aber wenn ich bereit bin oder es sogar legitim finde, Gewalt anzudrohen oder anzuwenden, um meine Meinung durchzusetzen, dann ist das falsch. Es untergräbt unser Menschsein, es holt das Schlechteste im Menschen hervor, es fügt dem Menschen, der betroffen ist, dem Menschen, der es anwendet, und den Menschen drumherum massiven Schaden zu, es verhöhnt die Würde eines jeden Menschen und ist uns Menschen nicht würdig.