Mein Geld, die Ausländer und die netten jungen Leute - Teil 2

Kommen wir zu Teil 2 der Blog-Triologie (ist irgendwie bisschen länger geworden, bitte halten Sie durch): Ausländer sollen wegbleiben und dorthin zurückgehen, wo sie herkommen. Was mensch sich da zuallererst fragen kann: Wer sind denn „die Ausländer“ überhaupt. Fragt man nach, so kommt oft: „Na, das sind die Türken.“ oder „Na, das sind die Syrer“. Aha. Am Pass machen diese Leute „Ausländer“ aber offenbar nicht fest. Obwohl das die eigentliche Definition von „Ausländer“ ist: natürliche Person, die eine andere Staatsangehörigkeit als die ihres Aufenthalts­staates hat (Quelle: Wikipedia). Die (Ur)Groß)Eltern der Menschen mit türkischem Migrationshintergrund - ja, derzeit lebt sogar schon die vierte Generation in Deutschland - sind häufig in den 1960ern, 70ern oder 80ern zu uns gekommen. Viele von ihnen haben einen deutschen Pass. Am Pass also macht mensch „Ausländer“ nicht fest. Trotzdem wird mir immer wieder leidenschaftlich versichert, „die Türken“ seien „Ausländer“ - sind sehr viele und immer mehr per Definition nicht. Woran also liegt es dann? Am Geburtsort? Auch nicht. Schließlich sind viele Menschen mit türkischen Vorfahren, die jünger sind als 30, 40 Jahre bereits hier geboren.

 

Vielleicht kommen wir mit "den Syrern“ weiter. Ja, bei vielen Menschen mit syrischem Migrationshintergrund passt der Begriff „Ausländer“. Dann sollen also die zurück gehen, wo sie herkommen? Das wird schwierig. In dem Land herrscht seit 2011 Bürgerkrieg. Jetzt schauen Sie sich bitte mal alle in die Augen: Würden Sie wirklich einen Menschen wegschicken, nur weil er woanders geboren wurde, wenn Sie wissen, dass er zurück in einen Krieg gehen muss? Möchten Sie diejenige, derjenige sein, der dieses Urteil ausspricht? Würden Sie zurück in den Krieg gehen? Ich glaube jetzt einfach mal, dass wir in der Mehrheit zivilisierte Menschen sind, die Mitgefühl kennen. Und deshalb werden Sie (hoffentlich) antworten: Nein, natürlich nicht.

 

Rational kommen wir an die Sache irgendwie nicht ran. Mein Eindruck ist: Ausländer werden die Menschen genannt, die fremd sind und in den Augen von manchen Leuten hier nicht hergehören. "Ausländer" wird übrigens in den Diskussionen heute oft durch "Einwanderer" oder "Migranten" ersetzt. Das ist per Definition nicht korrekt, aber der Eindruck bleibt derselbe: Ausländer/Einwanderer/Migranten werden die Menschen genannt, die fremd sind und in den Augen von manchen Leuten hier nicht hergehören. Deshalb lauten die eigentlich spannenden Fragen: Wer gehört hier her - und wer nicht? Und warum - oder warum nicht? Da hilft nochmal ein Blick in Wikipedia: Migration ist der dauerhafte Wohnortwechsel von Menschen. Klingt das vertraut? Sind Sie schon einmal umgezogen? Ja? Dann kennen Sie das Grundprinzip von Migration. Gleichzeitig fällt mir in diesem Zusammenhang mein Ägyptologie-Studium ein. Ist lange her. Aber ich erinnere mich gut daran, dass es schon damals, vor sage und schreibe 3.000 Jahren Einwanderung gab. Und das waren noch nicht einmal die ersten Wanderungen. Streng genommen wären wir ohne Migration alle gar nicht hier.

 

Migration ist ein die Menschheitsgeschichte durchziehendes, erdumspannendes Geschehen (Quelle: Wikipedia). Denn Menschen wollen leben, Menschen wollen arbeiten und Menschen wollen ihre Kinder großziehen. Sprich: Es gab schon immer Migration, es wird sie immer geben und nichts aber auch gar nichts wird die Menschen davon abhalten, weiterhin zu migrieren. Und das ist grundsätzlich auch gut so. Mensch muss die Migration steuern, mensch muss Regeln dafür haben oder festlegen, das ist jedoch trivial und versteht sich von selbst. Migration an sich aber, dabei bleibt es, gehört zum Menschen dazu und ist grundsätzlich gut. Denn Sie kennen alle die blöden Witze über die kleinen Bergdörfer, in die nie ein Fremder oder eine Fremde kam und die deshalb - mal nett ausgedrückt - ernsthafte Probleme mit dem Gesundheitszustand ihrer Bevölkerung haben. Wir kennen auch alle die Geschichten von schwachsinnigen Monarchen, die genau deshalb schwachsinnig waren, weil immer nur Verwandte untereinander geheiratet haben. Das bedeutet nichts anderes als: Migration hält uns gesund. Side note zu etwas, was ich in diesem Zusammenhang echt paradox finde: Laut der menschenverachtenden, unzivilisierten Rassenlehre der Nazis sollten sich  Arierinnen nur mit Ariern vermehren. Davon gab es nur begrenzt viele (oder wenige). Auf lange Sicht hätte dies dann also bedeutet, dass das nazi-blut-rein-deutsche Volk weder hart wie Kruppstahl noch schnell wie Windhunde geworden wäre. Sondern eher schwachsinnig.

 

Aber zurück zu der Aussage: Streng genommen wären wir ohne Migration alle gar nicht hier und alle gar nicht wir. In der Geschichte immer und immer wiederkehrende Motive für den dauerhaften Ortswechsel (aka Migration) sind beispielsweise die Aussicht auf bessere Siedlungs- und Erwerbsmöglichkeiten, auf Zufluchtsorte bei Naturkatastrophen oder die Suche nach Sicherheit für Leib und Leben, manchmal auch einfach nur Neugier. Das führte uns von unserem Heimatkontinent Afrika schon vor 40.000 Jahren nach Europa und Asien. Vor 12.000 Jahren waren wir dann auf allen Kontinenten unterwegs. Ich habe vorhin Ägypten erwähnt. Dort sind um das 12. Jahrhundert v. Chr. die Seevölker eingefallen. Scharen von Menschen, die aufgrund von verheerenden Naturkatastrophen (die Gründe sind nicht vollends klar und sehr komplex) ihre Heimat in Mittelmeerstaaten verlassen mussten, suchten sich einen anderen Platz zum Leben, Ägypten zum Beispiel. Das brachte damals Krieg mit sich, Unruhen, Umwälzungen in Nordafrika, in Europa und im Nahen Osten.

 

Zwischen dem 4. und 6. Jahrhundert ging es beispielsweise in Europa komplett rund. WissenschaftlerInnen sind sich einig, dass der Zerfall des Weströmischen Reiches eine Rolle spielte - ob als Auslöser oder Ursache der anschließenden Wanderungen ist unklar. Aber egal, wie rum, das muss mensch sich mal ansehen: Die Hunnen überrennen die Goten, die Goten erheben sich gegen die Römer, die Vandalen, Sueben und Alanen ziehen nach Gallien, die Sachsen und Germanen mischen ebenso fröhlich mit wie die Franken, die Langobarden, die Burgunder. Dann fiel auch noch den Slawen ein, dass sie sich ausbreiten könnten und sie kamen bis ins heutige Deutschland und Österreich. In Österreich waren übrigens auch schon die Türken. Mehrfach im 16. und 17. Jahrhundert und mit den Franzosen an der Seite ... Sprich: Alle waren historisch immer unterwegs, alle - you name it. Das wird sich nicht ändern. Menschen wandern. Heute sind wir allerdings (hoffentlich) zivilisierter als damals. Wir können es organisieren. Und vor allem können und müssen wir es gewaltfrei organisieren. Damals waren diese Bewegungen meist mit Plünderungen, Kriegen, Aufständen verbunden. Das muss nicht mehr sein. Wir können die Bewegungen friedlich regeln. Das zeichnet uns meiner Ansicht nach als zivilisierte Gesellschaft aus. Ich wünsche mir, dass alle Länder und alle Menschen dabei mithelfen.

 

Fazit: Migration gehört zum Wesenskern der Menschheit. Menschen lassen sich nicht einsperren, da helfen auch keine Mauern. Wir müssen gemeinsam überlegen, wie wir die Wanderungen zivilisiert organisieren können, damit Leid verhindert wird und damit sowohl die Menschen sicher und gut leben können, die zu uns kommen als auch die Menschen gut leben können, die zufällig schon hier sind. Wir alle sind ein Produkt der jahrtausendelangen Wanderungen. Wir alle sind eine wilde, spannende und gesunde Mischung aus Slawen, Hunnen, Ägyptern, Gothen, Türken, Vandalen, Römern, Sueben, Griechen und was auch immer. Wir alle sind Ausländer, fast überall.